Einleitung

Die Gehirnerschütterung ist der überwiegende Anteil des leichten Schädelhirntraumas (SHT) und definiert als (neurologische) Funktionsstörung des Gehirns infolge einer direkten oder indirekten Gewalteinwirkung gegen den Kopf mit oder ohne Verletzung des Gehirns.

Ältere Klassifikationen legen den Schwerpunkt auf das Vorliegen einer Bewusstlosigkeit, einer Amnesie und/oder eines Verwirrtheitszustandes. Da eine Bewusstlosigkeit nur in knapp 10%, eine retrograde Amnesie in etwa 15% und eine antegrade Amnesie in etwa 23% beim leichten SHT vorliegt, müssen andere Parameter in eine geeignete Klassifikation integriert werden. Bei entsprechenden Risikosportarten wie z.B. Profi-Eishockey fanden sich erhöhte Häufigkeiten mit 18,2% Bewusstlosigkeit und 20,6% Amnesie. Dabei ist die Amnesie prädiktiver für die Entwicklung neurokognitiver Defizite als die Bewusstlosigkeit.

Die Gehirnerschütterung als wesentlicher Anteil des leichten SHT entspricht einer Glasgow Coma Scale (GCS) von 15 Punkten. Veränderungen der Bewusstseinslage <15 Minuten, eine Amnesie <24 Stunden sowie das Fehlen neurologischer Fokalzeichen und struktureller Folgen im cranialen CT (CCT) werden zur Klassifikation herangezogen. Allerdings kann auch bei Fehlen dieser Symptome ein leichtes SHT bzw. eine Gehirnerschütterung vorliegen. Bei einer Gehirnerschütterung liegen häufig nur minimale Funktionsstörungen des Gehirns vor, so dass hier ein nicht klar definierter Übergang zwischen Gehirnerschütterung und leichtem SHT besteht.

Mögliche Einteilung des Schädelhirntraumas:

Gehirnerschütterungen im Sport kommen gerde bei Kontaktsportarten relativ häufig vor. Ihre Häufigkeit wird jedoch aus verschiedenen Gründen unterschätzt.

In den Vereinigten Staaten erleiden jährlich etwa 1.400.000 - 3.000.000 Menschen eine Gehirnverletzung. Davon erfolgt bei über 1.000.000 eine Notaufnahme-Behandlung und ca. 300.000 Patienten werden stationär aufgenommen. In 325.000 Fällen erfolgte ein initiale CT-Untersuchung des Kopfes. Mehr als 80% dieser Verletzungen wurden als „mild traumatic brain injury“ klassifiziert, von denen >90% ein negative CCT aufwiesen.

In 20% aller Fälle handelt es sich um Sport-Verletzungen. So erleiden jedes Jahr 5 - 10% der High-School-Football-Spieler und 40% der College-Spieler eine Gehirnerschütterung. 20% erleiden mindestens eine Gehirnerschütterung während ihrer sportlichen Karriere. Im Profi-Eishockey ist es dabei im letzten Jahrzehnt zu einer kontinuierlichen Zunahme der Schwere der Gehirnerschütterung gekommen mit verlängerter Regenerationsdauer. Damit gehört die Gehirnerschütterung zu den 3 Top-Diagnosen im Eishockey, wobei die Wahrscheinlichkeit eine Gehirnerschütterung zu erleiden während eines Matches, wie in fast allen Sportarten, deutlich höher ist als im Training. Bei Vorliegen einer Verletzung im Eishockey-Sport ist in 7,9 - 18,6% mit einer Gehirnerschütterung zu rechnen.

Die genaue Häufigkeit ist dabei vermutlich unterrepräsentiert, da die Verletzung an sich, insbesondere von den Spielern, unterschätzt wird. So gaben 70,4% der Footballer und 62,7% der Fußballer an, Symptome einer Gehirnerschütterung in der Vorsaison gehabt zu haben, während nur 23,4% bzw. 19,8% bei sich eine Gehirnerschütterung erkannt haben. Spieler, die eine Gehirnerschütterung erkannten, hatten häufiger schon einmal eine Gehirnerschütterung erlitten. Als Gründe für ein Unterschätzung gaben Spieler an, dass sie in 66% nicht glaubten, dass die Gehirnerschütterung ernst genug war, in 41% nicht das Match beenden wollten, in 36% die Gehirnerschütterung nicht erkannten und in 22% ihr Team nicht im Stich lassen wollten.

Risikofaktoren für das Auftreten einer Gehirnerschütterung sind das weibliche Geschlecht mit einer etwa 2-2,5-fach höheren Häufigkeit als bei Männern, Ermüdung durch körperliche Anstrengung und eine bereits früher erlittene Gehirnerschütterung mit einem 3-fach erhöhten Risiko für das Auftreten einer Gehirnerschütterung in der gleichen Saison. Lag bei einer bereits erlittenen Gehirnerschütterung eine Bewusst-losigkeit vor, besteht ein 6-fach erhöhtes Risiko für eine weitere Gehirnerschütterung im Vergleich zu einer vorbestehenden Gehirnerschütterung ohne Bewusstlosigkeit. Das Alter zum Zeitpunkt der Verletzung zeigt eine inverse Korrelation mit der Symptomdauer. Damit besteht - im Gegensatz zur herkömmlichen Meinung - gerade für Kinder ein höheres Risiko für eine längere Rekonvaleszenzphase.

Auch weisen Breitensportler gegenüber Profis eine verlängerte Rekonvaleszenzphase auf.

Eine Gehirnerschütterung führt auf zellulärer Ebene zu einer neuro-metabolischen Reaktion. Entsprechende Veränderungen sind für 7-10 Tage regelhaft nachweisbar.

Die direkte oder indirekte Gewalt gegen den Kopf führt nahezu immer zu einem Akzelerations-Dezelerations-Mechanismus im Sinne einer „Coup“-„Contre-Coup“-Verletzung. Dieser verursacht zusätzlich mit Rotationskräften ein axonales und vaskuläres Reißen („Stretching“). Dieser Mechanismus kann subtil und nicht offensichtlich sein; entsprechend muss das Gewaltausmaß nicht mit den klinischen Symptomen korrelieren.

Systemisch führt eine Gehirnerschütterung durch Entkoppelung von autonomem und Herz-Kreislauf-System zu einer Herzfrequenz-Variabilität. Schwere-abhängig resultiert zusätzlich eine, mindestens lokale, Abnahme des zerebralen Blutflusses (CBF) und eine Störung der zerebralen Autoregulation. Diese Effekte sind bis zu 10 Tage nach dem Trauma nachweisbar.

Auf zellulärer Ebene entwickelt sich eine sog. neurometabolische Kaskade. Durch das Trauma resultiert eine ionale Störung mit zunächst Anstieg des extrazellulären Kaliums. Dieses bewirkt eine unspezifische Depolarisation der Zellen mit u.a. resultierender Glutamat-Freisetzung, was die K+-abhängigen Effekte verstärkt. Die dadurch ausgelöste Phase der neuronalen Suppression kann klinisch durch Bewusstseinsverlust, Amnesie und kognitive Dysfunktionen gekennzeichnet sein.

Die lokale Erregungswelle im geschädigten Areal erhöht den Energiebedarf der Zellen, was eine Glykolyse mit erhöhter Laktatproduktion nach sich zieht. Es resultiert eine Einschränkung des oxydativen Stoffwechsels mit Beeinträchtigung der mitochondrialen Funktion und verminderter ATP-Produktion, was die Glykolyse weiter erhöht bis es zur lokalen Laktatazidose kommt. Es resultieren Zell-Membran-Schäden und eine erhöhte Blut-Hirn-Schranken-Permeabilität, was schlussendlich in Verbindung mit der Reduktion des CBF und dem zusätzlichen Effekt eines intrazellulären Ca++-Anstiegs diesen Circulus vitiosus verstärkt und zu einer zellulären „Energiekrise“ führt. Der intrazelluläre Ca++-Anstieg kann zusätzlich über eine Neurofilament-Verdichtung und eine Schädigung der Mikrotubuli zu einer fokalen axonalen Schwellung mit Entwicklung einer sekundären Axotomie führen, was den intrazellulären Ca++-Anstieg weiter verstärkt.

Die Oxygenierungs-Einschränkung auf bis zu 35% ist für etwa 1 Wochen nachweisbar Damit ist theoretisch eine lokale Ischämie und/oder Hypoxie mit dem Risiko der Entwicklung eines sekundären Hirnschadens möglich.

Die Gehirnerschütterung ist druch einen vielfältigen Symptom-Komplex gekennzeichnet. Dieser beinhaltet klinische und neurokognitive Symptome sowie Verhaltsn- und Schlafveränderungen

Eine sofortige ärztliche Evaluation eines Patienten ist notwendig bei Vorliegen der sog. „red-flag“-Symptome: jugendliches Alter, Verwirrtheit >30 Minuten, Bewusstseinsverlust >5 Minuten, fokal neurologisches Defizit, Pupillendifferenz und Verschlechterung einer Symptomatik oder der Bewusstseinslage. Ansonsten sind die klassischen Symptome zu analysieren:

  • Typische klinische Symptome sind neben dem Vorliegen einer Bewusstlosigkeit und einer Amnesie, das Vorliegen von Kopfschmerzen (70-80%), Schwindel (34-70%), Übelkeit/Erbrechen (20-40%), Nackenschmerzen (ca. 20%), Schwäche/Müdigkeit (20-50%), visuelle Störungen (ca. 20%) und Empfindlichkeit gegenüber Licht und Lärm (10-60%).
  • Kognitive Symptome umfassen unter anderem ein geistig „nebliges“ Gefühl, eine mentale Verlangsamung, Konzentrations- und Erinnerungsschwierigkeiten, vermehrte Vergesslichkeit aktueller Informationen oder Gespräche, Verwirrtheitszustände zu jüngeren Ereignissen sowie ein verlangsamtes Antworten auf Fragen und wiederholtes Fragen.
  • Verhaltensauffälligkeiten können unter anderem eine vermehrte Reizbarkeit, Nervosität oder Traurigkeit, eine vermehrte Emotionalität, einen Verlust der Impulskontrolle und mangelndes Interesse an Aktivitäten umfassen.
  • Im Verlauf auftretende Störungen des Schlafverhaltens können eine vermehrte Schläfrigkeit, die Notwendigkeit von weniger oder mehr Schlaf als üblich und Probleme beim Einschlafen sein.

Für die unmittelbare Einschätzung von Sportlern am Spielfeld wird die Beurteilung mittels des sog. Pocket Regognition Tools (Taschenkarte) oder des Sports Concussion Assessment Tool (SCAT) als sogenannte Sideline-Evaluation empfohlen.

Bei Zeichen einer Gehirnerschütterung erfolgt zunächst die ärztliche Beurteilung des Sportlers anhand standardisierter Notfall-Management-Protokolle inkl. Halswirbelsäulen-Protektion. Der Spieler sollte nicht allein gelassen werden, eine regelmäßige Überwachung innerhalb der nächsten Stunden muss gewährleistet sein (z.B. bei Auswärtsspielen). Eine ärztliche Beurteilung des Spielers sollte sich wann immer möglich daran anschließen. Für die medizinische Beurteilung muss auf und abseits des Spielfeldes ausreichend Zeit zur Verfügung stehen!

Im Zweifel gilt: When in doubt, take them out!

Die sofortige Beurteilung der kognitiven Funktion wird als wesentlicher Bestandteil bei der initialen Beurteilung einer Gehirnerschütterung angesehen. Zur primären klinischen Evaluation wird die Verwendung des „Standardized Concussion Assessment Tool 3“ (SCAT-3) empfohlen. Es handelt sich um einen 4-seitigen Bogen für Sportler ab dem 12. Lebensjahr zur Verwendung in Medizin- und Gesundheitsberufen, der idealerweise vor der Saison als „Baseline“-Untersuchung und zur Akut- und Verlaufsbeurteilung eingesetzt werden kann. Eine kindgerechte Version (Child-SCAT-3) liegt vor. Die Durchführungsdauer beträgt allerdings 15-20 Minuten. Dieses u.a. von den internationalen Fußball-, Eishockey- und Rugby-Verbänden sowie dem Internationalen Olympischen Komitee (FIFA, IIHF, IRB und IOC) verabschiedete Konzept umfasst die Analyse von Symptomen und die Erfassung der Glasgow Coma Scale (GCS), die Durchführung kurzer Tests zur Beurteilung der Orientierung zur Zeit (Maddocks-Fragen), die Analyse von Konzentration, Erinnerungsvermögen und Koordination sowie eine standardisierte Testung des Gleichgewichts.

Nachteilig sind die nicht mögliche Graduierung, die nicht mögliche Erfassung jeder Gehirnerschütterung, so dass der klinischen Beurteilung und Erfahrung weiter wesent-liche Bedeutung zukommt, und die nur aktuelle Einschätzung des Spielers mit jederzeit möglichen Veränderungen. Entsprechend dient die SCAT-3-Untersuchung ausschließ-lich als Screening-Methode.

Als wichtiges Initial-Symptom wurde der Schwindel identifiziert, der mit einer 6,34-fach erhöhten Rate für eine protrahierten Erholungsphase assoziiert war, während die Symptome Verwirrung, Bewusstlosigkeit, posttraumatische Amnesie, retrograde Amnesie, Unausgeglichenheit, Sehstörungen, Persönlichkeitsveränderungen, Müdigkeit, Lichtempfindlichkeit, Taubheit und Erbrechen keinen Einfluss auf die Prognose zeigten.

Gerade im Spiel steht häufig nicht genügend Zeit zur Verfügung, um die komplette SCAT-Untersuchung durchzuführen. Hier wird als Modifikation die sog. Taschenkarte empfohlen (Abb. 02), die ausschließlich die Symptomatik und die Maddocks-Fragen beinhaltet. Der Zeitaufwand beträgt maximal 1 Minute.

Abb. 02: Pocket-Recognition-Tool (Taschenkarte) zur akuten Sideline-Evaluation:

Die klinische und neurologische Einschätzung des Patienten mit Gehirnerschütterung wird häufig nicht ausreichend durchgeführt, da eine Beurteilung neuro-kognitiver Folgen nicht regelhaft unterbleibt.

Als Standard in der Beurteilung von Patienten nach Gehirnerschütterung ist zunächst eine ausführliche Anamnese zu erheben, eine klinische Allgemein-Beurteilung, ein neurologischer Befund sowie eine neuropsychologische Befundung (z.B. Gleichgewichts-Testung, kognitiver Testung und Gangbildanalyse) durchzuführen. Zusätzlich ist bei Vorliegen von Risikofaktoren oder dem Vorliegen von sog. „red-flag“-Symptomen (s.o.) eine radiologische Diagnostik („Neuro-Imaging“) zwingend.

Aufgrund der prognostischen Relevanz sollte anamnestisch insbesondere abgefragt werden, wie viele Gehirnerschütterungen bereits vorlagen, wie lange es dauerte bis die Symptome verschwanden und falls es sich um eine erneute Gehirnerschütterung handelt, ob ein geringeres Trauma zur erneuten Gehirnerschütterung führte. Zusätzlich sollte erfragt werden, ob eine Bewusstlosigkeit oder eine Amnesie vorgelegen hat (retrograd und/oder antegrad). Amnestische Veränderungen können z.B. relativ gut mit dem Galveston Orientation and Amnesia Test (GOAT) oder der Westmead Post Traumatic Amnesia Scale (PTA) abgeschätzt werden.

Die klinische Allgemeinbeurteilung orientiert sich an einem standardisierten ABCDE-Konzept, z.B. ATLS, mit HWS-Beurteilung, Untersuchung der Pupillenfunktion und Bestimmung der GCS.

Ein neurologischer Befund sollte orientierend eine Beurteilung von Hirnnervenfunktionen sowie grober Kraft und Sensibilität, Ganganalyse und Koordination (z.B. Romberg-Test, Finger-Nase-Versuch) beinhalten.

Die Gleichgewichtstestung wird nach Gehirnerschätterung alswesentlich angesehen. Sie hat gegenwärtig den höchsten Stellenwert in der Einschätzung nach Gehirnerschütterung.

Sie erfolgt optimalerweise anhand des Balance Error Scoring System (BESS), das modifiziert auch in den SCAT-3 integriert ist. Dabei wird die Balance für jeweils 20 Sekunden mit geschlossenen Augen und Händen an den Hüften im Einbein-, Zweibein- und Tandemstand bewertet und die dabei auftretenden Fehler (Hand abheben vom Becken, Augen öffnen, Ausfallschritt, stolpern oder fallen, Hüftabduktion >30 , Heben von Vorfuß oder Ferse oder Verlassen der Test-Position >5 Sekunden) dokumentiert. Pro Testposition sind maximal 10 Fehler möglich; als „normal“ werden 10±2 Fehler angesehen.

Allgemeine laborchemische Untersuchungen sind im Einzelfall sinnvoll, jedoch haben sich gegenwärtig hirn-spezifische Blutuntersuchungen (z.B. S100ß oder genetische Parameter) bisher noch nicht durchsetzen können.

Die radiologische Diagnostik dient dem Ausschluss oder der Bestätigung struktureller Gehirnerschütterungsfolgen.

Bei Vorliegen von Risikofaktoren oder dem Vorliegen von „red-flag“-Symptomen (s.o.) ist eine radiologische Diagnostik durchzuführen. Die Röntgennativaufnahme des Schädels ist nicht hilfreich und deshalb zu unterlassen. Mit den „New Orleans Criteria“ und der „Canadian CT Head Rule“ liegen validierte Kriterien zur Durchführung eines Schädel-CT-Untersuchung (CCT) nach einem leichten SHT vor.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass generell beim Vorliegen einer Gehirnerschütterung (GCS 15) in 5% mit strukturellen, im CCT nachweisbaren Schäden, zu rechnen ist, während für das leichte SHT (GCS 13-15) in 30% strukturelle Schäden nachgewiesen wurden.

Im Gegensatz dazu zeichnet sich die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) durch eine erhöhte Sensitivität für geringe strukturelle und axonale Schäden aus. Es können in 10-57% Pathologien nach leichtem SHT und in 30% Pathologien bei negativem CCT nachgewiesen werden.

Weitere radiologische Untersuchungen wie funktionelles MRT (fMRT), Magnet-Resonanz-Spektroskopie, SPECT, PET u.a. befinden sich noch im frühen Stadium der Entwicklung zur Beurteilung der Gehirnerschütterung. Der fMRT wird dabei die vermutlich wichtigste Relevanz in der Zukunft eingeräumt. Sie ist jedoch nur in speziellen Zentren verfügbar.

Eine zusätzliche neuropsychologische Testung kann unterstützend erfolgen und kann die Verlaufsbeurteilung nach Gehirnerschütterung erleichtern.

In den letzten Jahren ist gerade im nord-amerikanischen Breiten- und Leistungssport die zusätzliche neuropsychologische Beurteilung von Patienten mit leichter Gehirnerschütterung („mTBI“ und „concussion“) eingeführt und diskutiert worden. Da die neuro-kognitive Symptomatik im Vergleich zur klinischen Symptomatik häufig länger bestehen bleibt , sollte eine neuropsychologische Beurteilung von Sportlern nach Gehirnerschütterung erfolgen. Sie sollte jedoch nicht alleinige Grundlage von Entscheidungen hinsichtlich des Managements sein.

Zur neuropsychologischen (NP) Testung stehen historisch klassische Papier- und Bleistift-Tests zur Verfügung, die zwar den Vorteil der
Etablierung und das ausreichende Vorhandensein normativer Daten aufweisen, jedoch zeitaufwändig sind und keine Bewertung der Reaktionszeit zulassen. Neueren computer-assoziierte NP-Test-Batterien wird als Vorteil eine Evaluation ohne geschulte Tester nachgesagt.

Die ImPACT-Test-Batterie ist in Nordamerika in verschiedenen Sport-Organisationen etabliert (u.a. National Football League (NFL), National Hockey League (NHL), Olympic Organizations, USA Boxing). Sie ist ein computergestützter neuropsychologischer Test zur objektiven funktionellen Beurteilung des Gehirns und unterstützt die Schwere-Beurteilung von Gehirnverletzungen und die daraus abzuleitenden Return-to-Play-Empfehlungen.

Verschiedene Untersuchungen konnten zeigen, dass nach Gehirnerschütterung mit relevanten neurokognitiven Störungen zu rechnen ist. Mittels einer computer-basierten neuropsychologischen Testung kann die Sensitivität und Spezifität im Vergleich zur alleinigen Symptombeurteilung verbessert werden.

Inwieweit NP-Tests als zuverlässig, empfindlich und gültig angesehen werden können ist noch in der Diskussion. Es gibt zumindest derzeit noch keinen klaren Hinweis, dass durch Verwendung computer-basierter NP-Tests das Management der Gehirnerschütterung richtungsweisend beeinflusst werden kann.

Vor diesem Hintergrund kann die zusätzliche NP-Testung nur als ein zusätzlicher Faktor in der Gesamtbeurteilung der Rekonvaleszenz nach Gehirnerschütterung angesehen werden und sollte auf keinen Fall die medizinisch-klinische Einschätzung ersetzen.

Regelhaft kommt es innerhalb kurzer Zeit zur vollständigen Symptomerholung.

Analog zu den pathophysiologischen Veränderungen kommt es zur nahezu vollständigen klinischen Symptomerholung, zur kognitiven Erholung und zur Gleichgewichtserholung innerhalb einer Woche nach Gehirnerschütterung. Dabei kommt es häufiger zu einer schnelleren Erholung der klinischen Symptome, während neuro-kognitive Störungen etwas länger persistieren. Neuro-kognitive Symptome sind wie die klinische Symptomatik selbst limitierend und meistens nach 2-14 Tagen vollständig verschwunden.

Wurde eine CCT oder ein MRT durchgeführt und konnte ein struktureller Schaden ausgeschlossen werden, erfolgt typischerweise eine noch schnellere Symptom-Erholung.

Zusammenfassend dauert in 85% der Fälle die Symptomatik nach Gehirnerschütterung maximal eine Woche und in 97% besteht vollständige Symptomfreiheit nach einem Monat. Eine komplette Symptomerholung erfolgt typischerweise spätestens innerhalb von 3-12 Monaten.

Trotzdem bestehen allgemein nach leichtem SHT und Gehirnerschütterung nach einem Jahr noch in >15% relevante Symptome, überwiegend Kopfschmerzen und Bewegungsstörungen, die jedoch als unspezifisch gewertet werden.

Als häufige initiale Symptome, die eine prolongierte Erholungsphase bedingen können, wurden primär vorhandene erhebliche Kopfschmerzen, Schwäche/Müdigkeit und das Vorliegen einer Amnesie sowie eine pathologische neurologische Untersuchung gefunden. Signifikante Faktoren für einen zeitlichen Ausfall >10 Tage im Profi-Eishockey waren Kopfschmerzen sowie Schwäche/Müdigkeit.

Es sind verschiedene Risikofaktoren für einen protrahierten und/oder ungünstigen Verlauf bekannt.

Das weibliche Geschlecht ist mit verstärkten Symptomen und einer verlängerten Rekonvaleszenz assoziiert. Das Vorliegen einer retrograden bzw. antegraden Amnesie bewirkt 10 bzw. 4mal häufiger eine stärkere klinische Symptomatik und eine verzögerte Rekonvaleszenz. Vorbestehende hirn-funktionelle Störungen können protrahierend wirken. Angstzustände und/oder Depression, eine Lernstörung oder eine Migräne können zu vermehrter Müdigkeit, Verstärkung einer Depression und Angstzuständen sowie vermehrten kognitiven Beschwerden führen. Eine vorbestehende Migräne kann die Rekonvaleszenzphase verlängern und eine vorbestehende Lernstörung kann durch eine Gehirnerschütterung verstärkt werden. Daneben kann eine zu frühe postkontusionelle Belastung die Rekonvaleszenz und die neurokognitive Erholung verzögern.

Kinder und Jugendliche weisen statistisch gegenüber Adoleszenten und Erwachsenen eine verlängerte Rehabilitationsphase auf.

Relevant ist die inverse Beziehung zwischen Patientenalter und Dauer von Gehirnerschütterungssymptomen, so dass gerade bei Kindern von einer längeren Erholungszeit auszugehen ist. Deshalb sollten gerade bei Kindern auf keinen Fall ein Return-to-Play am selben Tag erfolgen.

Der Berücksichtigung der Pathophysiologie und des natürlichen Erholungsverlaufes kommt zusammen mit der klinischen Beurteilung und Symptomatik, der neuropsychologischen Bewertung und der Gleichgewichtstestung maßgebliche Bedeutung in der Entscheidung des Return-to-Play zu.

Ein Sportler sollte in Ruhe und nach Belastung klinisch und kognitiv symptomfrei sein bevor Wettkampf-Fähigkeit besteht!

International hat sich ein 6-stufiges gestaffeltes Return-to-play Protokoll etabliert, das sich an der Pathophysiologie der Gehirnerschütterung orientiert und somit den Schutz anfälliger/gefährdeter Zellen und Axone durch Minimierung der zerebralen Glucose-Anforderungen und die Vermeidung zusätzlicher Belastungen des zerebralen Blut-flusses berücksichtigt.

Es vergehen also vom Tag des Unfalles immer mindestens 6 Tage bis zur Matchfähigkeit, entsprechend der Mindestzeit für die Erholung der Nervenzellen.

Ein Return-to-Play noch am Tag des Traumas ist die absolute Ausnahme und sollte nur erfolgen, wenn ein Arzt mit ausreichender Erfahrung in der Behandlung von Gehirnerschütterungen und der Möglichkeit auf sofortige neuro-kognitive Beurteilung den Spieler evaluiert und der Spieler eine volle klinische und kognitive Erholung aufweist. Junge Sportler (<18 Jahre) sollten aufgrund der eher schlechteren Rekonvaleszenz eher konservativ behandelt werden.

In der unmittelbaren posttraumatischen Phase nach Gehirnerschütterung ist das Gehirn besonders vulnerabel, aufgrund der noch andauernden pathophysiologischen Veränderung. Es besteht ein deutlich erhöhtes Risiko nach einer Gehirnersch+tterung eine weitere Gehirnerschütterung zu erleiden.

Kommt es zu einer zweiten oder weiteren Gehirnerschütterung steigt das Risiko für einen noch protrahierteren Verlauf bzw. für Komplikationen bis zur, teilweise malignen, Hirnschwellung, dem sog. „Second Impact Syndrome“. Diese seltenen Fälle sind mit einer Letalität von bis zu 50% und einer Morbidität bis zu 100% assoziiert.

Beim Zweit- oder Mehrfachtrauma ist häufiger mit dem Vorliegen einer Bewusstlosigkeit zu rechnen, d.h. die Schwere des Hirntraumas nimmt zu. Weiterhin liegen vermehrt Gedächtnisstörungen vor und es besteht die Gefahr der Neurodegeneration mit möglicherweise einer erhöhten Rate weiterer langfristiger neurologisch-psychiatrischer Folgen.

Bei einigen Patienten verbleiben über längere Zeit unspezifische Symptome (Post Concussion Syndrom).
Nach dem ICD 10 handelt es sich beim Post Concussion Syndrom (PCS) um ein Syndrom, das nach Schädeltrauma auftreten kann und über 3 Monate nach dem Trauma verbleibende unterschiedliche Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Schlafstö-rungen und reduzierte Stresstoleranz sowie emotionale Reizbarkeit umfassen kann.

Diese Symptomatik wird als unspezifisch angesehen, da viele dieser Symptome bei anderen Verletzungen oder Erkrankungen auch bestehen können.
 

In Nordamerika sind zwischenzeitlich ausführlich ausgearbeitete Konzepte zur Prävention und Protektion sowie ausgiebige Lehr-Konzepte für Schulen, Eltern, Trainer, Betreuer, Spieler und Sportler erarbeitet worden.

In den USA ist über das Centers of Disease Control and Prevention (CDC) das „Heads up“- und in Kanada das “Think First”-Konzept erarbeitet worden. Auch die WHO hat über das Collaborating Centre for Neurotrauma (WHO-CCN) Basis-Konzepte zum leichten SHT entwickelt.

Hierbei handelt es sich um Konzepte, mit denen alle Beteiligten über Grundlagen, und insbesondere mögliche Folgen sowie Behandlungsstrategien informiert werden. Als wichtiger Anteil wird die Integration und Assoziation der Lehrkonzepte zwischen Schul- und Freizeitsport angesehen. Es ist deshalb auf politischer Ebene eine derartige Kooperation zu etablieren.

In Deutschland wird mit der Initiative „Schütz Deinen Kopf“ ein entsprechendes Ausbildungs- und Lehrkonzept zur Gehirnerschütterung im Breiten- und Leistungssport mit Integration der Schulen und Sportvereine etabliert.

Zusammenfassung

  1. Die Gehirnerschütterung stellt im Sport eine wesentliche, häufig noch unterschätzte, Verletzung dar.
  2. Zelluläre Folgen sind etwa 7-10 Tage nach dem Trauma regelhaft nachweisbar
  3. Neben der klassischen klinischen Symptomatik müssen auch neuro-konginitive Symptome sowie Verhaltens- und Schlafveränderungen berücksichtigt werden.
  4. Die unmittelbare Beurteilung am Spielfeld sollte mittels SCAT-2 als sog. Sideline-Evaluation erfolgen.
  5. Die weitere ärztliche Beurteilung orientiert sich an etablierten Standards. Eine Gleichgewichtstestung sollte zusätzlich integriert werden.
  6. Eine neuropsychologische Evaluation kann zusätzlich Hinweis auf die Erholung nach Gehirnerschütterung geben.
  7. Ein Symptomerholung erfolgt regelhaft innerhalb von 1 Wochen in über 85% der Sportler.
  8. Das empfohlene Return-to-Play-Protokoll orientiert sich an diesen klinischen und pathophysiologischen Ergebnissen.
  9. Das Risiko für eine protrahierte Erholungsphase ist v.a. durch die Gefahr einer Zweit-Gehirnerschütterung in der unmittelbaren Phase nach Primärtrauma gegeben.
  10. Kinder sind für einen protrahierten Verlauf besonders gefährdet.
  11. Ein in Deutschland zu etablierendes Ausbildungs- und Lehrkonzept im Schul-, Breiten- und Leistungssport soll sensibilisieren und für die Problematik der Gehirnerschütterung etabliert werden.


Text Dr. A. Gänsslen (Literatur beim Verfasser)