Folgen im Gehirn nach Gehirnerschütterung
Durch die mechanische Verformung des Hirngewebes beim Trauma kann es zu Scherverletzungen an den Gehirnzellen kommen. Dadurch können die betroffenen Zellen überreizt und funktionsunfähig werden. Zusätzlich können Zellfortsätze, die zur Kommunikation zwischen verschiedenen Zellen notwendig sind, verletzt werden. Im schlimmsten Fall können Zellen absterben.
Es kann gemäß des primären Unfallmechanismus am Gehirn zwischen fokalen/direkten und diffusen Gehirnverletzungen unterschieden werden:
- Die lokale direkte (fokale) Schädigung des Gehirngewebes führt zu einer übermäßigen Erregung der Zellen. Dadurch treten Stoffe in das umliegende Gewebe aus, die die Energieversorgung der Zelle erheblich negativ beeinflussen. Auch die benachbarten Stützzellen im Gehirn werden dadurch angegriffen und funktionieren nicht mehr wie gewohnt. Durch Umverteilung von bestimmten chemischen Stoffen strömt Wasser in die Zelle ein und auch die Zellkraftwerke in der Zelle, die Mitochondrien, schwellen an. Der Versuch der Zellen den Wassereinstrom zu beheben, verbraucht Unmengen an Energie, sodass es zu einer Energiekrise kommt, was letztlich zu einem ausgeprägten bis kompletten Funktionsverlust der Zelle führt. Das Ausmaß der Schädigung der Zellkraftwerke (Mitochondrien) korreliert dabei mit dem langfristigen (bleibenden) Folgen der Hirnschädigung. Da in dieser Phase auch der Blutdurchfluss im Gehirn vermindert ist, steht auch nicht genug Energie in Form von Zucker (Glucose) zur Verfügung, was das Problem verstärkt. Diese erheblichen (biochemischen) Veränderungen betreffen sowohl den Zellkörper als auch die Zellfortsätze, sodass der Kontakt zwischen den Zellen eingeschränkt ist. Glücklicherweise sind diese Veränderungen nach Gehirnerschütterung meist reversibel, d.h. sie bilden sich meist vollständig zurück.
- Bei der diffusen Schädigung tritt regelhaft eine axonale Verletzung ein (= Verletzung der langen Zellfortsätze), die mit neuen Bildgebungstechniken sichtbar gemacht werden können. Die Axone verbinden verschiedene Gehirnregionen miteinander. Schon eine Verlängerung von 10 % innerhalb von 100 ms kann zu einer dauerhaften Schädigung dieser Zellfortsätze führen. Einen gewissen Schutz bietet eine vorhandene Myelinisierung, eine Umscheidung des Axons mit umgebenden Stützzellen. Diese sorgt normalerweise für einen schnelleren Informationstransport zwischen den Zellen. Nach Verletzung ist dieser Informationstransport gestört und kann sogar entgegengesetzt stattfinden. Gerade im Kindsalter ist diese Myelinisierung im Rahmen der allgemeinen Gehirnreifung noch nicht vollständig abgeschlossen, sodass Kinder besonders gefährdet scheinen. Bei Betrachtung unter einem Mikroskop lassen sich zusätzlich Veränderungen feststellen, die wie bei der Alzheimer-Erkrankung. Insgesamt scheinen diese axonalen Schädigungen umso ausgeprägter zu sein, je jünger der Patient, so dass die Erholungsphase im Kindes- und Jugendalter möglicherweise deshalb verlängert ist.
Neben diesen Folgen an den Zellen und Zellfortsätzen treten auch allgemeine Störungen auf. Die bereits angesprochene lokale Durchblutungsstörung im verletzten Gehirn bedingt einen erhöhten Sauerstoffbedarf, der für einige Tage nicht ausreichend ist. Auch das Herz-Kreislauf-System weist Funktionseinschränkungen auf. Insbesondere besteht für einige Tage eine Veränderung des Herzfrequenzverhaltens unter körperlicher und geistiger Belastung.